Tischrede Ihrer Majestät der Königin anlässlich des offiziellen Besuchs des deutschen Bundespräsidenten Johannes Rau und von Frau Rau, Den Haag, 27. Oktober 1999
Herr Bundespräsident!
Es ist erst vier Monate her, dass Sie Ihr Amt als Präsident der Bundesrepublik Deutschland angetreten haben. In dieser kurzen Zeitspanne waren mein Mann und ich bereits ein Mal Ihre Gäste, als wir am 14. August in Oranienburg die Ausstellung "Onder den Oranje Boom" eröffneten. Dies bot uns die Gelegenheit, Sie und Ihre Gattin zu einem Besuch unseres Landes einzuladen. Es freut meinen Mann und mich sehr, dass Sie unserer Einladung schon so früh Folge leisten konnten.
In den vielen öffentlichen Ämtern, die Sie bekleidet haben, haben Sie sich immer für gute Beziehungen und enge Zusammenarbeit zwischen unseren beiden Ländern eingesetzt. Sie haben die Niederlande oft besucht und sich stets bemüht, unser Land zu verstehen und zu ihm herzliche und substanzielle Kontakte aufzubauen. Vor allem in den Jahren, in denen Sie in Nordrhein-Westfalen Minister für Wissenschaft und For-schung waren, und auch als Ministerpräsident Ihres Landes. Umso mehr freut es uns, Sie bei Ihrem ersten Besuch als Bundespräsident in den Niederlanden willkommen heißen zu können.
Sie kommen zu einem ganz besonderen Zeitpunkt. Es ist fast zehn Jahre her, dass die Nachkriegszeit mit dem Fall der Mauer zu Ende ging, dem kurz darauf die Wiedervereinigung Deutschlands folgte. Selten nur haben sich in Europa innerhalb so kurzer Zeit so große Veränderungen vollzogen. Auch jetzt muss Ihr Land noch viele Schwierigkeiten überwinden. Die Art und Weise, wie Deutschland diese Umwälzung in gute Bahnen gelenkt und Lösungen für Probleme gefunden hat, die es noch nie zuvor gegeben hatte, verdient Bewunderung und Respekt. Die Resultate, die in den vergangenen Jahren erzielt wurden, recht-fertigen die Zuversicht, dass Ihr Land diesen Prozess mit Weisheit und Entschlossenheit fortführen wird.
Herr Bundespräsident,
wir kennen die Vergangenheit, aber wir leben in der Gegenwart. Diese Gegenwart gibt uns viel, womit wir zufrieden sein können. In den letzten Jahrzehnten sind unsere beiden Länder einander immer näher gekommen. Es sind in zunehmendem Maße die Kontakte zwischen Unternehmen, Einrichtungen und Personen, die uns miteinander verbinden; der Staat spielt darin eine immer bescheidenere Rolle, was als gutes Zeichen gewertet werden darf. Der Prozess zunehmender Zusammenarbeit und damit auch wachsender Abhängigkeit ist ein bleibendes Kennzeichen unserer Beziehungen geworden.
In einer Zeit, in der die Europäische Union vor weit reichenden Entscheidungen - und tief greifenden Veränderungen - steht, sind unsere bilateralen Beratungen, unsere vergleichbaren Vorstellungen für die Zukunft und unsere gemeinsame Festlegung von Standpunkten von grosser Bedeutung. Unsere beiden Länder sind treibende Kräfte hinter der Europäischen Währungsunion und dem Euro. Das Bestreben der Bundesrepublik, die jungen Demokratien in Mittel- und Osteuropa näher an die Union heranzuführen, wird von den Niederlanden von Herzen unterstützt. In etwas kleinerem Maßstab ist die grenzüberschreitende Zusammenarbeit im Rahmen der Euregios für viele Bürger ein selbstverständlicher Teil des Alltags geworden.
In Ihrem Land, Herr Bundespräsident, wird der europäische Gedanke auf vielerlei Weise gepflegt. Ein Beispiel dafür ist die alljährliche Verleihung des Karlspreises in Aachen. Als ich diesen Preis 1996 entgegennahm, habe ich gesehen, wie viele Prominente aus Politik und Wirtschaft bei diesem Festakt zugegen sind. Sie bekunden hiermit auf eindrucksvolle Weise, wie viel Wert man in Ihrem Land einer Zukunft in europäischer Verbundenheit beimisst.
Herr Bundespräsident,
Goethe, dessen Gedenken in diesem Jahr in großem Stil gefeiert wird, hat gesagt: "Die Stätte, die ein guter Mensch betrat, ist eingeweiht." Berlin ist jetzt eingeweiht. Sie und die Bundesregierung sind einige hundert Kilometer nach Osten in die neue Hauptstadt umgezogen. Es ist erfreulich, feststellen zu können, dass die Bande zwischen unseren beiden Ländern so eng sind, dass es sich hier lediglich um eine Entfernung im geographischen Sinne handelt. Das Vertrauen hierin, das in unserem Lande schon bestand, ist durch Ihre Präsidentschaft noch weiter verstärkt worden.
Gerne bitte ich nun alle Anwesenden, mit mir das Glas zu erheben und auf Ihre Gesundheit, auf die Gesundheit Ihrer Frau und auf die gute Nachbarschaft zwischen unseren beiden Ländern und Völkern zu trinken.